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7. Juni 2019 - 6. Juli 2019

Wir freuen uns sehr, die Stuttgarter Künstlerin Angela Garry in der Galerie Mitte in Dresden zu begrüßen. Sie widmet sich seit Jahrzehnten als kritische Zeitgenossin und empathische Künstlerin dem Phänomen der medialen Verstrickung des Menschen …
… in technokratische Systeme und fand zu einer surreal futuristischen Formensprache, aus der sowohl eine poetische Faszination spricht als auch die Entmenschlichung thematisiert wird.
Information:
Die Ausstellung wird vom 7.Juni – 06.Juli 2019 in der Galerie Mitte gezeigt. Die feierliche Ausstellungseröffnung findet am Donnerstag, 6.Juni 2019, um 19.30 Uhr statt.
Rede zur Ausstellungseröffnung:
„Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Angela Garry ist eine faszinierende Visionärin, die in ihren Bildzyklen den Traum des Menschen beschreibt, zu ergründen, was die Welt im Innersten zusammenhält, aber gleichzeitig auch den Schöpfermythos als eine verhängnisvolle Anmaßung des Menschen zu begreifen versucht. Andererseits ironisiert sie diese Entwicklung, erliegt auch dem Zauber und vermenschlicht zuweilen die „Maschine“ innerhalb eines magischen Illusionismus. Unsere technokratischen, komplexen Systeme bewirken eine Veränderung von Wahrnehmung und Erfahrung, einen Wandel des Selbstbildes. Es ist unumstritten: Unser Weltbild haben naturwissenschaftliche Erkenntnisse ebenso grundlegend verändert, wie die industrielle Revolution, die Technisierung und Automatisierung, die Digitalisierung des Lebens, virtuelle Welten, die Möglichkeit von künstlicher Intelligenz. Der Drang des Menschen, die Natur zu beherrschen, die Welt zu verstehen, zu durchdringen und neu zu gestalten, hat den Fortschritt der Zivilisation bestimmt.
Jedoch neurotische Fortschrittsgläubigkeit, Technik als Ideologie anzusehen, führt dazu, jegliches natürliches Maß zu verlieren, führt zu größeren Distanzen zwischen den Menschen und ihrem natürlichen Umfeld. Sich zurechtzufinden im Wirrwarr der Informationen und das Wesentliche herauszufiltern ist für viele kaum noch möglich, demzufolge werden Menschen manipulierbarer. Angela Garry widmet sich als aufmerksame und kritische Zeitgenossin, als empathische Künstlerin seit Jahrzehnten beschriebener Entwicklung, vor allem dem Phänomen der medialen Verstrickung des Menschen in technokratische Systeme und fand zu einer surreal futuristischen Formensprache.
Die Künstlerin hüllt ihre Bildinhalte in eine Ästhetik unterkühlter Präzision, die neugierig macht und dem Mythos der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Technik als Segen und Fluch aufzeigt. Man gewinnt den Eindruck, dass der Mensch in seiner bildlichen Abwesenheit zu einem Spielball der von ihm geschaffenen künstlichen Intelligenz wird, zum Schreibtischtäter, der die Auswirkungen seiner in Bewegung gesetzten Computer-Tastatur nicht mehr einzuschätzen vermag. Konsequent verfolgte die Künstlerin ihren Weg über Maschinenbilder, Phantasiemaschinen, zu Landschaften einer Schreibmaschine, zur Denkmaschine, dem Computer mit Fingerabdruck, zum runden Tisch der Telekommunikation, der Medienspinne und den Datenfliegen. „Ich nutze die Bilderflut der Medienwelt für ein vielschichtiges Wechselspiel mit Formen, Begriffen und Bedeutungsgehalten zwischen Mensch, Natur und Technik“, so Angela Garry.
1979 krönte sie sich mit dem Typenrad einer Schreibmaschine und ließ diese künstlerische Aktion fotografieren. Zum damaligen Zeitpunkt befand sich die Computertechnik erst in den Kinderschuhen. Diese Fotoserie mutet wie eine Vorausahnung künstlicher Welten an.
Angela Garry provoziert die Vorstellungskraft der Betrachter ihrer Werke. In der Serie „Tastenvorgänge“ transformiert Sie, wie in einer Partitur, die Poesie von Gedichtzeilen, beispielsweise von Joachim Ringelnatz, Gottfried Benn oder Else Lasker-Schüler. Sichtbar sind die Tastenvorgänge, als technisch visuelle Entsprechung der Buchstabenabfolgen auf der Tastatur einer Schreibmaschine.
Die Schreibmaschine stellt die Personage in den künstlerischen Parallelwelten von Angela Garry Ende der 70er Jahre bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Schreibmaschinentype im Profil weist eine stilisierte menschliche Ähnlichkeit auf. Die Künstlerin besetzt mit diesen „Typen“ unterkühlte Großraumbüros. Sie mutieren zum Schatten ihrer selbst mit dem Einzug der PC’s und verkörpern den entindividualisierten, charakterlosen Menschen, der nur Anweisungen befolgen muss, von dem keine eigenen, kreativen Entscheidungen und Bewertungen abverlangt werden. Ein Albtraum. Die Künstlerin ironisiert immer wieder brillant mithilfe von Grotesken die möglichen Auswirkungen technischen Fortschritts auf das alltägliche Leben. Der Mensch wird ersetzt durch die Maschine oder er verschwindet in einem Netz uniformierter Gleichmacherei. Bereits 1979 erwies sich Angela Garry als Vordenkerin als sie mit der Anleitung zum Aufbau eines Schreibmaschinentheaters das äußere Erscheinungsbild eines Computers aus der Form einer Schreibmaschine heraus mit Tastatur und Bildschirm entwickelte.
Das setzte die Künstlerin bildnerisch konsequent fort, indem die Abdeckung des Typenlagers liegend zum Schreibtisch und aufgerichtet zum Bildschirm verwandelt wurde, wie zum Beispiel in der „Phantomkonferenz“. Immer wieder tauchen aber auch Reminiszenzen an die lebendige Natur auf: Landschaften einer Reiseschreibmaschine. Sie nimmt Begriffe ganz einfach wörtlich und entwickelt bildhafte Entsprechungen.
Mitte der 80er Jahre wird auf dem Computerbildschirm, der die Form eines mutierten Typenlagerdeckels aufweist, ein menschlicher Fingerabdruck sichtbar. Man assoziiert kriegerische Auswüchse, die auch noch durch die Möglichkeit eines Fehlers im System begünstigt werden. Die Komplexität der Arbeiten ist beeindruckend. Das Eine geht in das Andere über. Das Eine bedingt das Andere. Bildnerisch besonders interessant sind die sogenannten „Netzbilder“. Auf dem ersten Blick wirken diese wie vielschichtig abstrakt bewegte, besonders strukturreiche Kompositionen, dominiert von Diagonalen, durchzogen von Ganglien wie ein Aderngeflecht, das in einem lebendigen Organismus existiert. Und dann entdeckt man innerhalb der Raster und Muster altbekannte Motive und wird sogartig mitgerissen im Datenfluss, auf den Datenautobahnen, mit möglichen Unfällen und die Phantasie anregenden formalen Mutationen, die an die archaische Natur des Menschen erinnern.
Angela Garry ist nicht nur in der Lage mit ihrer ganz eigenen Formensprache technische wie politische Entwicklungen zu visualisieren, ihre Arbeiten beinhalten auch in ihrer Vielschichtigkeit eine kulturphilosophische Dimension. Makro- und Mikrokosmos, organische und anorganische Strukturen fließen zusammen in den Serien der „Medienberge“ und „Medienburgen“, die in den 90er Jahre entstanden sind. Angela Garry besitzt eine besondere Gabe, nämlich die zum Bekenntnis, ohne den Betrachter ihrer Werke bevormunden oder manipulieren zu wollen. Nach der Jahrtausendwende zieht der genetische Fingerabdruck massiv in die Bildräume ein, ob monumental vergrößert, zerschnitten oder collagiert. Diese Zeichnungen verweisen einerseits massiv auf die Möglichkeit genetischer Manipulation, aber auch darauf, dass der Mensch innerhalb der Freiheit seines Geistes den Entdeckungen immer wieder den eigenen schöpferischen Fingerabdruck mitgibt.
Die Künstlerin ist eine Meisterin formaler Stilisierung, klarer Konturbegrenzung von Formen, von beeindruckenden Perspektiven, einem faszinierendem Illusionismus modelliert von Licht und Schatten, einer kühl distanzierten Farbwahl, die die emotionslose Leere der Kompositionen unterstreicht und damit für Irritationen sorgt. Sie ist eine gute Beobachterin von gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie ist eine experimentierfreudige Unangepasste, die mit ihren Bildfindungen den Betrachter erschüttert, aufwühlt oder beglückt schmunzelnd aus ihren Parallelwelten wieder entlässt. Ihr hintergründiger Humor ist mitreißend und beseelend und zeugt davon, dass sie an die menschlichen Dimensionen technischer Entwicklungen glauben möchte. Angela Garry widerspiegelt Zeitgeist in Bildserien, die die filmischen Science-Fiktion –Utopien eines Fritz Lang nicht ad absurdum führen. Sie lässt den Betrachter allerdings nicht alleine, sondern gibt ihm die Möglichkeit einer Interpretation, die wieder zum Menschen zurückführt.“
Karin Weber