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30. November 2019 - 1. Februar 2020
Inge Thiess-Böttner (1924-2001) wäre im November diesen Jahres 95 Jahre alt geworden. Dies nimmt die Galerie MITTE zum Anlass, mit einer Ausstellung an die bedeutende Vertreterin eines lyrischen Konstruktivismus in Sachsen zu erinnern. Nicht mathematisches Kalkül im Umgang mit geometrischen Formen prägte ihr Schaffen, …
… sondern ein musikalisch gestimmter Sensualismus. Gerne hat sie ihre Arbeitsweise mit dem Prinzip eines Kanons verglichen. Gezeigt werden neben Mischtechniken auf Leinwand und Papier auch unikate Linoldrucke und Serigrafien.
Information:
Die Ausstellung “Balance der Gefühle” findet zu Ehren der Grafikerin und Künstlerin Inge Thiess-Böttner (1924-2001) statt und ist vom 30. November 2019 bis zum 1. Februar 2020 in der Galerie MITTE zu sehen. Die Eröffnung der Ausstellung ist am Vorabend des 1. Ausstellungstages, also am 29. November 2019 ab 19:30 Uhr in den Räumen der Galerie MITTE.
Im Kabinett:
Luc Saalfeld – “Aus der Mappe des verschollenen Bauhäuslers”
Fotografie
Die Kabinettausstellung begleitet ein Katalog!
Textauszug:
“… Hell und Dunkel, aus dem sich die Erscheinungen der Dinge formieren, oft sogar ihr Aufbau. Phänomene, die der Beobachtung, der Aufzeichnung bedurften; Bilder, die mein Sehen beeinflusst und gelenkt haben. Die Vermutung lag nahe – gerade durch die Zeilen mit der Überschrift: Bau Haus! – beflügelt – es handle sich um Fotografien, die am Bauhaus entstanden sein könnten…”
Sonderveranstaltung: Autorenlesung
23.Januar, 19:30 Uhr in den Räumen der Galerie MITTE
“Worte sind Luft.
Aber die Luft wird zu Wind.
Und der Wind macht die Schiffe segeln.”
Segeln Sie mit der iranischen Dichterin Nahid Ensafpour durch ein Meer von Gefühlen. Sie umrahmt lyrisch und gesanglich die Lesung der Autorin Heidi Heine zu ihrem Roman “Du solltest bleiben”. Eine Liebesgeschichte, tief emotional und von den Ereignissen unserer Zeit geprägt.
Der Eintritt ist frei! Um eine Spende wird gebeten!
Rede zur Ausstellungseröffnung:
“Meine sehr verehrten Damen und Herren,
mit dieser Ausstellung, die unikate Linoldrucke, Serigrafien, British Scraper Boards, Mischtechniken auf Papier und Leinwand sowie künstlerische Keramiken zusammenfasst, wird Inge Thiess-Böttner gedacht, die in diesem Jahr, am 25. November ihren 95. Geburtstag mit uns gefeiert hätte.
“Die Welt und das Leben zu lieben“, schrieb Hermann Hesse einmal,“ auch unter Qualen zu lieben, jedem Sonnenstrahl dankbar offenstehen und auch im Leid das Lächeln nicht ganz zu verlernen – diese Lehre jeder echten Dichtung veraltet nie, und ist notwendiger und dankenswerter als je.”
Inge Thiess-Böttner scheint danach unbewusst gelebt zu haben.
Voller Güte und Energie versuchte sie jedem, den sie ins Herz geschlossen hatte, etwas von ihrem Glauben an das Gute abzugeben.
Freiheit bedeutete für sie, künstlerisch zu arbeiten, formale Eingebungen auszuleben und diese Einsicht, die sie als unermesslichen Reichtum für sich bezeichnete, mit Überzeugung weiterzugeben.
Sie liebte das Leben in einer euphorischen Eigenart und schöpfte Kraft aus der Begegnung mit Menschen und aus der künstlerischen Arbeit, so dass sie zwölf lange Jahre die tückische Krankheit verdrängen konnte, die ihren Körper zerstörte.
Sie trotzte mit Humor der Hoffnungslosigkeit in der Welt.
Sie war neugierig und experimentierfreudig und eigensinnig und immer nur gewillt, ihrem inneren Impuls zu folgen.
Weit spannt sich der biografische Bogen von bürgerlicher Herkunft zu künstlerischer Sendung, von sächsischer Verwurzeltheit, zu weltoffener Aufgeschlossenheit.
Angeregt von Freunden, begann sie 1995 ihre “Erinnerungen” aufzuschreiben. Ihr Medium war aber nicht das Schreiben, sondern das Erzählen, so dass sie das Vollenden ihres Vorhabens immer vor sich herschob.
Als Kind malte sie sich in Gedanken eine Zirkuskarriere aus. Sie entschied sich aber letzlich dafür, akademisch ausgebildete Malerin zu werden. Ihr Weg führte sie über künstlerische Bekanntschaften mit Etha Richter, Max Schwimmer und Ernst Hassebrauk an die Dresdner Kunstakademie.
Nach dem Krieg nahm sie an der Enttrümmerung dieser Bildungseinrichtung teil, um die Legitimation für eine Fortführung des Studiums zu erhalten, das sie bei Wilhelm Lachnit abschloss. Da dieser in Ungnade gefallen war, erhielt seine Klasse “die sogenannte Formalistenklasse” geschlossen kein Diplom.
Inge Thiess-Böttner ließ sich aber nicht aus der Bahn werfen.
Was sie von Lachnit über die flächige Kompositionsweise und den Umgang mit der reinen Form gelernt hatte, prägte sie nachhaltig. Sie hat oft darüber gesprochen.
Die schweren Lebensphasen der Künstlerin: Nichtanerkennung des Diploms; Ausschluss aus dem VBK aufgrund artfremder Betätigung (Puppengestaltung Flax und Krümel für das Kinderfernsehen der DDR), was einem Berufsverbot gleichkam; Pflege des Mannes und dessen früher Tod; Pflege der Mutter; alleinerziehend; Berufstätigkeit bis zum 65. Lebensjahr – führten nicht zu melancholischen Dunkelheiten in ihrem Werk, das Tagebuchaufzeichnungen ähnelt, sondern mobilisierten die positiv-kreativen Gegenkräfte einer empfindsam kalkulierten, feingliedrigen Farbchoreografie, ohne ins Dekorativ-Plakative abzugleiten.
So überwog Klarheit, Transparenz und poetische Ordnung in ihren Kompositionen.
Geometrische Linearstrukturen, flächenhafte Dreieck-, Trapez- und Kreisformen, leicht prismatisch zerbrochen und versetzt in Korrespondenz mit einer Farbigkeit, die Melodien in sich trägt, machen die Faszination ihrer Arbeiten aus.
Ihre Bilder gelten als Höhepunkt in der Weiterverfolgung eines lyrisch gestimmten Konstruktivismus.
Die Künstlerin bewies mit ihrem umfangreichen Werk, dass konkrete Gestaltung nicht steril sein muss, wenn man sie mit Intelligenz und spielerischem Vergnügen ohne sogenanntes „Reißbrettdogma“ in vielen Variationen betreibt und die Grenzen um sich herum nicht zu eng zieht.
Ihr ging es immer um die Synthese von Organischem und Konstruktivem, um eine aus der Wechselwirkung von Emotionalität und Rationalität entstehenden Harmonie.
Die Künstlerin hat ihr Arbeitsprinzip oft mit dem eines Kanons verglichen. So kann man viele Variationen eines Themas entdecken.
“Persönliche Erfahrungen lehrten mich”, schrieb sie 1995, “im Leben und in der Kunst einfach zu bleiben und sich zu beschränken. Denn die Beschränkung des einzelnen ist oftmals besser als die Beschränktheit der Masse.”
1993 konnte Inge Thiess-Böttner durch Vermittlung des Sächsischen Künstlerbundes, dessen Ehrenmitglied sie nach der politischen Wende wurde, ein Atelier in den Technischen Sammlungen erhalten. Ein Umstand, dem es zu danken ist, dass zahlreiche großformatige Arbeiten entstehen konnten. Hier lebte Inge Thiess-Böttner ihre schöpferische Unruhe aus.
Die Arbeiten nach 1993 kennzeichnen weich fließende Farbübergänge. Die geometrische Formensprache erinnert häufig an Gegenständliches.
Alle Bildung taugt nur in dem Maße, davon war Inge Thiess-Böttner überzeugt, in dem sie Begeisterung sowie Leidenschaft weckt und in deren Folge, Engagement bewirkt.
Vielen Kindern und Jugendlichen lehrte sie den Umgang mit künstlerischen Ausdrucksformen, wobei sie darauf bedacht war, das jeweils Eigene herauszukitzeln. Grundlage waren Gestaltungsprinzipien im Sinne der Bauhaus-Tradition.
Inge Thiess-Böttner hat zeitlebens nicht zu den opportunistisch Angepassten gehört. Ihre Menschenliebe und ihre Menschenachtung waren größer als purer Eigennutz.
An der Grenze zur Legalität gab sie zu DDR-Zeiten seit 1957 jungen Künstlern Raum für Ausstellungen in ihrem Kelleratelier, das sie eigensinnig “Galerie Stiefmütterchen” nannte. Erste Ausstellungen zeigten dort u.a.: Ralf Kerbach, Lutz Fleischer, Petra Kasten, Frank Panse.
An die Stelle von Ideal und Realismus setzte Inge Thiess-Böttner das Wort LEBEN.
Ihr Ziel war es, die Welt erkundenden Optimismus zu vermitteln. Sie war nicht bestimmt von einem nostalgischen Vertrauen in die verändernde Kraft von Utopien. Sie glaubte an positive Energien, die in jedem Menschen stecken und nur aktiviert werden müssen.
Inge Thiess-Böttner wurde auf dem Künstlerfriedhof in Loschwitz begraben und zwar innerhalb der Gräberachsen von Lachnit und Hassebrauk. Auf dem Grab steht ein signifikantes künstlerisches Zeichen von Andreas Hegewald, das auf Anregung der Tochter der Künstlerin, Claudia Böttner, die heute Abend auch anwesend ist, mit Unterstützung des Kulturamtes Dresden, aufgestellt wurde.
Im Kabinett sind frühe Arbeiten des Fotografen Luc Saalfeld unter dem Projekt-Titel „ Aus der Mappe des verschollenen Bauhäuslers“ zu sehen. Es sind Arbeiten, die einer intensiven Auseinandersetzung mit den kompositorischen Prinzipien der Künstler des Bauhauses einhergingen. Die Ausstellung begleitet ein Katalog, in dem man folgende Sentenz lesen kann: „Hell und Dunkel, aus dem sich die Erscheinungen der Dinge formieren, oft sogar ihr Aufbau. Phänomene, die der Beobachtung, der Aufzeichnung bedurften; Bilder, die mein Sehen beeinflusst und gelenkt haben… Angeregt durch Bilder, die sich mit dem Wesen des Fotografischen befassen – im weitesten Sinne mit Licht und Form – entstand der Gedanke, die Mappe des verschollenen Bauhäuslers anzulegen; als Studienmappe, in der solche Bilder eingesammelt werden. Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus dieser Nebensache ein eigener Werkbereich… Neben Porträts, Landschaft, Stofflichkeit, Struktur und Urbanität erzählen die Bilder auch von Experimenten mit verschiedenen Techniken (Mehrfachbelichtung, Tonung) sowie dem Ausprobieren und Forschen im Umgang mit dem lichtempfindlichen Material selbt. Was neben den künstlerisch und handwerklich ausgereiften Fotografien besonders überzeugt, ist die konzeptionelle Ebene. Auch hier zeigt sich, neben formal-stilistischen Merkmalen eine geistige Verbindung zum Bauhaus“ – und damit auch zu Inge Thiess-Böttner. 1995 hat Luc Saalfeld Inge Thiess-Böttner in ihrer Ausstellung in der Galerie Mitte fotografiert. Somit weilt sie heute Abend unter uns!”
Karin Weber,
November 2019