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9. Februar - 6. April
Das Meißner Künstlerpaar HILDEGUND (1933–2022) und LOTHAR SELL (1939–2009) schuf sehr unterschiedliche Arbeiten, und doch waren beide in ihrem künstlerischen Schaffen stets anregend für einander.
LOTHAR SELL hat den größten Teil seines Lebens in Meißen gelebt und gearbeitet. Er war zunächst als Grafiker und Buchillustrator tätig. Seine Holzschnitte zu den Werken von Erwin Strittmatter sind davon wohl die bekanntesten. Auch freie Grafik und Malerei gehörten zu seinen Arbeitsbereichen. Daher rühren beispielsweise die für ihn typischen Wassertropfen aus Holz. Aus dem Holzspielzeug für die Tochter entwickelten sich die bemalten Holzfiguren mit ländlichen und märchenhaften Motiven, die viele kennen. Später erarbeitete SELL sich die Technik der figürlichen Keramik. So entstanden nicht nur Kleinplastiken aus Porzellan, sondern auch seine sinnesfreudigen Terrakotta-Figuren, die mancherorts im öffentlichen Raum zu sehen sind. Später lag ein Schwerpunkt seiner Arbeit auf farbigen und Bleistift-Zeichnungen voller Geschichten und Sinnlichkeit.
HILDEGUND SELLS Arbeiten haben viele schon in den Händen gehalten, ohne es zu wissen: In den 1960er und 1970er Jahren entwarf sie moderne Porzellanservices für mehrere Betriebe in Sachsen und Thüringen und versah diese mit fantasievollen Dekoren.
Das Mokka-Porzellanservice „Fatima“ und das Kaffee-Service „Vesta“ gehören dabei wohl zu ihren bekanntesten Arbeiten. Sie verband die Formensprache des gestalterischen Aufbruchs der 60er Jahre mit klaren, schwungvollen Formen mit einem persönlichen Stil, der auch Raum für materialbewusste Eleganz und Erzählfreude ließ. Als freischaffende Künstlerin gestaltete sie von 1979 bis Ende der 90er Jahre zudem keramische Einzelstücke: Gefäße mit klaren, kühnen Formen und Flächen wie auch markante plastische Objekte und kleine Gegenstände, die man gern in die Hand nehmen möchte.
Kein Wunder, dass HILDEGUND und LOTHAR SELL nicht nur bildnerisch tätig waren, sondern auch Ausflüge ins Gebiet der Literatur unternahmen. HILDEGUND SELL widmete sich dem Genre des Haiku, japanisch inspirierte Kurzgedichte. LOTHAR SELL schrieb eine Kindergeschichte darüber, was die Wassertropfen machen, und brachte die Erinnerungen an seine Kindheit zu Papier, die längst nicht so idyllisch war, wie man nach seinen Arbeiten glauben könnte.
Die Ausstellung zeigt einen kleinen Querschnitt des Schaffens des Künstlerpaares.
Information
Ausstellungseröffnung: 8. Februar 2024, 19.30 Uhr
Ausstellungsdauer: 08.02. – 06.04.2024
(geschlossen am 29./30.3.)
Sonderveranstaltung
Gespräch und Lesung mit GUNDULA SELL, am Sonnabend, 9. März 2024, 17:00 Uhr
Im Kabinett
Linolschnitte aus den 1930 Jahren von HANS und LEA GRUNDIG aus der Sammlung von Dr. Maria Heiner
Linolschnitte von LEA und HANS GRUNDIG aus den Jahren 1929 bis 1931
Sowohl LEA als auch HANS GRUNDIG begannen mit der Anfertigung von Linolschnitten im Jahr 1929. Der Beginn dieser Arbeiten fällt in die Gründungsphase der ASSO (Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands), die 1930 in Dresden gegründet wurde. Ab dieser Zeit schufen die Künstler Linolschnitte für die direkte politische Agitation, eine Kunst für die Arbeiterklasse.
LEA GRUNDIGS erster Linolschnitt trägt den Titel „Mond“, 1929. Das Blatt ist noch dem Expressionismus zuzuordnen, inhaltlich fehlt hier noch jeglicher politische Bezug.
Das änderte sich jedoch bald. Die Blätter wurden zunehmend realistischer, dem Stil der Neuen Sachlichkeit entsprechend. Das Alltagsleben der Proletarier, die zunehmende soziale Not breiter Bevölkerungsschichten in der Weltwirtschaftskrise, verschärft noch durch die Sparmaßnahmen der Brüning-Regierung, kam zur Darstellung.
Bei den zwei Blättern „Jugendliche Arbeitslose“ 1929 und „Mädchen mit Schal“ 1930 von LEA GRUNDIG handelt es sich um Porträts von jungen Mädchen in offensichtlich prekärer sozialer Lage. Auch direkte politische Auseinandersetzungen wie im Blatt „Diskussion zwischen KPD- und SPD- Arbeitern“, 1931, wurden thematisiert.
Zu den ersten Arbeiten HANS GRUNDIGS gehört das Blatt von 1929 „Die Reichswehr marschiert in Dresden ein“ und bezieht sich auf ein Ereignis in Sachsen, das schon einige Jahre zurücklag.
Ein anderer Linolschnitt aus dem Jahr 1930 ist das Blatt „Streik“ mit der Schrift im Bild: „Kämpft mit der RGO“. Die RGO (Revolutionäre Gewerkschaftsopposition) war ab 1929 eine eigene KPD-nahe Gewerkschaft. Sie wurde gegründet, um die Dominanz der SPD in den freien Gewerkschaften zu unterlaufen. Eine zweite Fassung existiert auch ohne Schrift; der Künstler hatte aus Sicherheitsgründen den Text aus dem Streikaufruf in der Nazizeit herausgeschnitten.
Die Not der Proletarierkinder ist ein von HANS GRUNDIG oft gestaltetes Thema. Besonders in den Arbeiten des Jahres 1929 ist dabei der Einfluss von Otto Dix spürbar. Die Arbeiten „Kinder der Großstadt“ oder „Elend der Kinder“, beide 1929 geschaffen, sind dafür Beispiele. Das Blatt „Lernender Arbeiterjunge“ von 1930 gehört schon ganz zur ‚Neuen Sachlichkeit‘. Im gleichen Jahr entstand auch der Linolschnitt „IAH Kinderheim“. Auf dem Blatt sieht man zwei Arbeiter, die einen kleinen verhärmten Knaben vom Kinderheim abholen, dass eingerichtet war für die Kinder verhafteter Eltern, für die sonst niemand sorgen konnte. In dem Blatt „Wunschzettel II“, 1931, steht ein Junge im angedeuteten leeren Raum, im Hintergrund nur ein Tisch mit einer Petroleumlampe. Er hält einen Wunschzettel in der Hand, aber sein Gesicht mit den großen Augen drückt Hoffnungslosigkeit aus. Mit der Erfüllung seiner Wünsche wird es wohl nichts werden.
Im Blatt „Die Spinnerin“ von 1930 wird eine Frau direkt bei der Arbeit dargestellt. In den beiden Blättern „Kampfmai 1930“ und „Demonstration“, ebenfalls aus dem Jahr 1930, sind Massendemonstrationen, umrahmt von berittener und schwer bewaffneter Polizei, zu sehen. Beide Blätter weisen eine starke innere Dynamik auf, was vor allem durch die in Weißschnitttechnik dargestellten Personen bewirkt wird. Das schwarz ausgeführte Transparent im Blatt „Kampfmai 1930“ mit der weißen Inschrift zeigt, dass es sich um eine proletarische Maidemonstration handelt.
Die Blätter „Ich starb, weil ich Hunger hatte“ und „Selbstmord ist kein Ausweg“ aus dem Jahr 1930 verweisen auf die soziale Not, die viele Menschen zu Verzweiflungshandlungen und in letzter Konsequenz in den Freitod trieb. Die Selbstmordrate war in Deutschland zwischen 1927 und 1930 gestiegen. Mit dem Plakat für das Kabarett „Die Linkskurve spielt“ o.J. wird gegen die Politik der Brüning-Regierung polemisiert.
Die Linolschnitte sind Agitationskunst. Es sind Aufforderungen an den Einzelnen, sich dem Elend und der Not entgegenzustellen, den Kampf für ein besseres Leben aufzunehmen und das vermeintliche Schicksal nicht zu akzeptieren.
Neben den ausgestellten Blättern befinden sich Reproduktionen von weiteren Linolschnitten der GRUNDIGS in der ausgelegten Mappe.