- Diese Veranstaltung hat bereits stattgefunden.
1. September 2023 - 21. Oktober 2023

Collagen, Montagen und Künstlerbücher
Collagen und Montagen beschäftigen mich seit gut 20 Jahren, Literatur als Praxis noch einige Jahrzehnte länger. Eingangs sind Bilder und Texte nebeneinander her gelaufen und haben sich nur in den Bildtiteln berührt. Mittlerweile gibt es einen steten Austausch, ein Schieben und Fordern, das Zusammengehen in Projekten. Im Rückblick sieht es so aus, als hätten erst beide Ausdrucksweisen im Miteinander die autonomen Themenbündel Geschichte/Identitäten/Mythos zusammengeführt und in Grundsituationen menschlichen Daseins formulierbar gemacht.
Die Verbindung der Bilder zum Buch war von Anfang an eng. In einem längeren Prozess geordnet und montiert, ergaben die Ende 2000 begonnenen Collagen-Serien drei Bilder-Romane, die in den letzten Jahren auch erschienen sind. Illustrationen im engeren Sinne, dh. Bilder zu fremden Texten, mache ich seit 2019. Dazwischen liegt ein weites Feld der Übergänge: Bilder und Texte zur Odyssee und zum Argonauten-Medea-Komplex, Bilder im weiten Feld von „Brot und Spiele“.
Ob ich Holzstich- oder Fotomaterial verwende, Farbe oder Schwarz-Weiß, hat vor allem mit Wünschen, Annahmen zu tun, auch mit Gelegenheiten. Rational betrachtet heißt das eine wie das andere Aufnehmen und Fortsetzen einer Tradition und deren Brechung bzw. Aufhebung: Das mehr bis minder alte Material wird mit dem Blick des Jahrs 2023ff verknüpft.
Farben verlangen Farben, Struktur zieht Strukturen nach, Bewegungen fordern Bewegung: So formieren Augen, Kopf, Hände ein gespanntes Gleichgewicht. Wird eine transparente schwarz-weiße Fotomontage über die informelle Farb-Collage montiert, integriert sie Farbgründe und hebt sie auf in der Figuration, die Handlung ist, Narration, gedehnter Moment. Umgekehrt fassen und tragen Farben Figuren, auch wenn sie das formale Entsprechen verweigern, selbst Form werden. Sollen Montagen im Schwarz-Weißen verbleiben, brauchen sie etwas anstatt, einen Plattenton, autonome Strukturen vor oder hinter den Dingen. Der Titel, Wort oder Zeile, öffnet und beschließt die Arbeit, ist erste Interpretation. Alles reagiert mit Allem, positiv als auch negativ. Wo? Vorerst im Kopf eines privilegierten Betrachters, der ein Bild entdeckt, während er seine Elemente zusammenbringt oder zusammenfinden lässt.
Fotomontagen habe ich in den letzten Jahren am Computer gebaut, Farbgründe entstehen aus Plakatresten in klassischer Handarbeit oder als Bestandteil der figurativen Montage auch am Computer. Verwende ich Holzstichmaterial, arbeite ich ausschließlich mit Papier. Das Originalmaterial des 19. Jahrhunderts verwendbar zu machen, nutze ich ein Kopiergerät im Copy-Shop meines Vertrauens.
Das Wie ist immer ein Abenteuer. Collagen wie Texte haben ihre eigenen Wünsche und Bedingungen, die nicht unbedingt miteinander übereingehen. Collage ist Umgang mit dem Unbekannten, Arbeit (ein Sprechen) ins Offene, institutionalisierter Zufall, disperate Einheit.
Mit der illustrativ verwandten Collage ist es dasselbe, doch muss die sich überdies mit Texten ins Benehmen setzen, mit Themen, Konstellationen, Abläufen auseinander, was eine gewisse Grundloyalität verlangt.
In der freien Collage reagiere ich auf das Material und lasse das Material miteinander reagieren. In der Illustration bestimmt der Text den Ort und die Figurenkonstellationen zumindest mit: Das Meer will tragendes Wasser, der Wald verlangt Bäume, das maritime Schurkenleben a la Verne braucht sein Personal, Ezra Pound seine hungrigen Masken etc. Am Ende müssen auch diese Bilder aus sich heraus und für sich stehen.
Ungebundene Collagen beginnen mit dem glücklichen Finden, Collagen zum Text beginnen mit geduldigem Suchen. Zwanglos wie immer kommen Bedürfnisse hinzu, die Lust am artistischen Machen, treten Dafürhalten und Spieltrieb miteinander in Wettstreit. Weiß ein Bild nichts anderes als sein Autor, ist es misslungen.
Gregor Kunz
Information
Eröffnung: am 31. August 2023, um 19.30 Uhr
Ausstellungsdauer: 1.9. – 21.10.2023
Sonderveranstaltung
- Künstlergespräch, am 23. September 2023, um 17:00 Uhr
- Lesung, am 12.10.2023, um 19:30 Uhr
Im Kabinett
FRANK HERRMANN – „Formen des Lebens“
(Schreibzeichnungen)
Die Linie ist nur eine Hilfskonstruktion, es gibt in der Wirklichkeit keine Linien, die irgendwelche Gebilde umgrenzen würden.
„Aber die Linie ist ein bloßer Begriff, da sie nichts ist, als was sie zeigen kann: … .“
Charles Sanders Peirce
Unter einem Mikroskop würden die Begrenzungen der Körper wohl ungefähr so aussehen, wie ich sie zeichne, nämlich ausgefranst. Selbst die Oberflächen offenbaren eine mit bloßem Auge nicht wahrnehmbare Struktur, bis man schließlich bei einem Organismus in und unter der Haut
Zellen entdeckt. Man könnte auch einen Bezug zum Digitalen hineinlesen (100101100 …). Ja, und außerdem leiste ich einen Beitrag zur Bewahrung der Hand – Schreibbewegung, die in nicht allzu weiter Ferne vermutlich aussterben wird.