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4. November 2022 - 10. Dezember 2022
Assemblagen & Objekte
Wir befinden uns in einer zeitgenössischen Kunst- und Wunderkammer, die Morgen- und Abendträume, Unerhörtes und Unerwartetes, Diabolisches und Erotisches, Prachtvolles, Monströses auf wunderbare Weise zusammenführt, die den Betrachter die kunstvollen Reliquien einer kreativen Hingabe an Materialien, Objektschreine, Assemblagen, Plastiken, Collagen, Zeichnungen und Malereien auf wundervolle Weise bestaunen lässt. Und dieses Staunen und Wundern lässt uns verweilen und selbst schmunzeln, wenn wir die Abgründigkeit und Hintergründigkeit, die poesievolle Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit, die Widerborstigkeit, die voluminöse Hintergründigkeit, die humorvolle Subversivität durchschauen.
1952 wurde CHRISTOPH WINKLER in den bewegten und bewegenden Kunstraum der Familie Winkler hineingeboren. Inspiriert und beseelt sog er in sich auf, was sich ihm darbot. Sein Vater, Woldemar Winkler (1902-2004) wurde ihm ein gestrenger Zeichenlehrer. CHRISTOPH WINKLER schrieb über die Atmosphäre, in der er aufwuchs Folgendes:
„Seit ich denken kann, sind Werke der Volkskunst, Figuren und Schnitzereien, Teil des Lebens meines Vaters Woldemar Winkler. Das sind zum Beispiel Leuchterengel, Räuchermännchen, Nussknacker, Soldaten, Fahrzeuge, Pferdegespanne und Tiere aus dem Erzgebirge, aber auch andere Gegenstände aus vielen Ländern der Erde. Viele dieser Werke stehen im „Biedermeierzimmer“ meines Elternhauses in den Regalen über den Fenstern und sind auch sonst im ganzen Haus verteilt. Einen Fisch gibt es da, den mein Vater sich während des Krieges als Tabakbehälter geschnitzt hat. Es gibt Holzlöffel, Salatbestecke mit Figuren, Leuchter und Holzdosen, z.B. in Form eines Huhns. Alle diese Dinge haben mich als Kind fasziniert, auch wenn sie nur angeschaut werden durften.
Außerdem gab es einfache Häuser aus Holz mit Brandmalerei, Kasperlepuppen mit Holzköpfen, Figuren und Holztiere, die mein Vater selbst hergestellt hatte. Mit ihnen durfte ich als Kind spielen. Viele dieser Dinge sind bis heute erhalten. Mein Vater streifte mit mir und meiner Schwester oft durch den Wald und wir sammelten interessante Äste und Wurzeln, in denen wir geheimnisvolle Wesen sahen. Hier und da mit etwas Farbe versehen, wurden sie zu einem so genannten „Schlau“. (Als „Schlau“ bezeichneten wir alles, was wir nicht genau definieren konnten.) Später nannte mein Vater diese Dinge dann „Allbedeut“, eine Bezeichnung, die er immer wieder verwendete. Noch heute gibt es schlangenartige Gebilde aus Wurzeln, die aus dieser Zeit stammen und in meinem Elternhaus aus einem Loch oder Riß eines Eichenbalkens krabbeln.“
CHRISTOPH WINKLER ist als Restaurator, Museums- und Ausstellungstechniker sowie freier Künstler in Gütersloh tätig. Er brauchte Zeit, um den Mut zu haben, seiner Fabulierlust endlich zu folgen. Und als die Schleusen geöffnet waren, gab es kein Halten mehr. In nahezu barocker Üppigkeit, phantasievoller Ausgelassenheit überlässt er sich seinen lustvollen Eingebungen und seinem Spieltrieb, der dem Zauber der Stofflichkeit und Strukturwertigkeit von Materialien huldigt, denen er die kuriosesten Geschichten ablauscht.
Information
Eröffnung: Donnerstag, 03.11.2022, 19:30 Uhr
Ausstellungsdauer: 04.11. – 10.12.2022
Sonderveranstaltungen
Künstlergespräch: Donnerstag, 17.11.2022, 19:30 Uhr
Im Kabinett
ANDREAS DRESS „Ein buccolisches Tänzchen“ – Radierungen
ANDREAS DRESS (Jg. 1944-2019) nimmt als Maler und Grafiker eine besondere Stellung in der deutschen Gegenwartskunst ein. Wie kein anderer hat er den „Taumel im Diesseits“ beschrieben und aus dem traditionellen Totentanz einen Lebenstanz entwickelt, hat er mit zahllosen Schichtungen und Überlagerungen die ikarischen Höhenflüge und apokalyptischen Abgründe des Menschlichen bildnerisch verwandelt. Er war ein Künstler, der alle Möglichkeiten bildnerischen Ausdrucks für sich experimentell auslotete. Er beschäftigte sich mit Holzschnitt, Radierung, Lithografie, Serigrafie, drehte 8mm Zeichen-Filme, bemalte Friese, beschäftigte sich mit dem Künstlerbuch, dass auch raumgreifende Dimensionen anzunehmen vermag.
In einer Kabinettausstellung wird seiner gedacht mit dem Fokus auf die Radierung.
Worte spielten immer eine große Rolle auf den Arbeiten oder als Bildtitel. ANDREAS DRESS spielte nicht mit der Form und dem Wort, um des Spielens willen, auch nicht, um den Betrachter hinter’s Licht zu führen, sondern eher um dessen Verstand und Intuition zu erhellen. Zwischen Schwarz und Weiß gibt es viele Schattierungen. Das ist auch auf den Radierungen erkennbar. Die schwarze Magie des Druckens zieht sich durch sein Gesamtwerk. DRESS ist ein Spezialist und schreckt vor keiner noch so aufwendigen Kombinationstechnik zurück. Das ist ein Aufwand, dem sich heute kaum ein Grafiker kaum mehr hingeben möchte.
ANDREAS DRESS rang immer wieder um Klarheit im Experiment: Weltenanfang und Weltenende. Lebenslust und Melancholie, Einsamkeit und Harmonie, Abstammung und Zukunft gehen ineinander über im Bildkosmos von ANDREAS DRESS, im Spiel der Kräfte, in deren Ausgewogenheit das Geheimnis der Schöpfung liegt. Dem vermeintlichen Chaos gab er bereits früh eine innere Ordnung, der Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, die auf Lebensrhythmen basieren. Gunhild Brandler beschrieb in einem Katalog das Sichtbare Folgendermaßen: „ Nach wie vor: kantig geschnittenes, sich verhakendes, fliehendes und suchendes Expressives und turbulent Szenisches. Die Körper gespalten in gefährliche Schwanz-Hieroglyphen und zentnerschwere Mutterbrüste, in grapschende Hände und wollüstig verschlingende Münder. Wie Nahrungsstücke zerlegt, wie von Zufalls-Operationen zerstückelt und explosiv versprengt als wäre die Welt ein riesenhafter Granattrichter. Im aufgerissenen Raum sind die behütenden Grenzen immer nur die eigene Kontur. Und selbst diese ist durchdrungen von Welt. Eine Möglichkeit von Vielfalt, aber keine der Identität…Kein Horizont für Ankommen, sondern ein Strudel, ein Implodieren in der Extase.“
CHRISTOPH WINKLER fühlte sich menschlich und künstlerisch sehr mit ANDREAS DRESS verbunden und ermöglichte ihm zu Lebzeiten auch eine Ausstellung in der Galerie des Kunstvereins Gütersloh.