12. September - 22. November

Malerei / Zeichnung
Rastlos und getrieben begibt sich STEFFEN FISCHER mit der spontan fließenden Linie auf den Weg, um das einzukreisen, was ihn beunruhigt und bewegt, geistig in Bewegung bleiben und hoffen lässt, dass sich der Mensch nicht in der Gier nach Macht und Herrschaft verliert. STEFFEN FISCHER bleibt immer bei sich, um den alltäglichen Wahnsinn zu beschreiben, wo wir uns gegenwärtig so gut eingerichtet haben. Er seziert die Gegenwart, indem er die alten Mythen mit unseren heutigen Geschichten verbindet, und bereit ist, das tradierte Rollenverständnis von Mann und Frau aufzuheben, die martialische männliche Dominanz, zu unterwerfen und zu beherrschen, ad absurdum zu führen.
Die zeichnerische Linie fließt in einem nicht enden wollenden Rausch nervöser Lebendigkeit auf die Papiere, umschlingt, umgarnt in präziser anatomischer Knappheit und zuweilen mit grotesk aggressivem Ausmaß Körper, die die einschlägigen Mythen exzessiv und subversiv umkehren. Entgegen spießig-verbiesterter Moralethik herrscht hier die heitere Anarchie gelebter Panerotik gegen eine dumpfe Willkür. STEFFEN FISCHER spinnt aus den Verknäuelungen der Lineamente und oszillierenden Farbausbrüche ein Netzwerk von assoziativen Anspielungen. Er überredet die Anatomie zu waghalsigen perspektivistisch unerbittlichen Zwangslagen, denen ein ritueller Zug anhaftet: phallischer Machtwahn, fleischliche Wollust als Form egozentrischer zerstörerischerer Inbesitznahme. Ohne sich selbst preiszugeben… Er und sie begegnen der animalischen Form des Be- und Unbewußten.
Seine Arbeiten sind Sinnbilder der Lust, unausgesprochener Angstbilder, Formen und Metamorphosen der Sinnlichkeit, Ausdrucks- und Verhüllungsstrategien des Begehrens. Die Frau ist Lustobjekt und Liebesiodol, Komplizin und Hetäre, Opfer aber auch Täter, wehrhaft, aggressiv und ekstatisch – auch als „Flintenweiber“.
Die pulsenden Rhythmen des immer wieder knospenden und keimenden an- und abschwellenden, versickernden und fließenden Lebens sind spürbar im Verlauf der zeichnerischen Linie, die, erinnert sei an den schönen Ausspruch Ingres, die aufrichtigste aller Künste ist. Der Wunsch nach Bewahrung gipfelt im Bedürfnis nach Sinnlichkeit. Die Verlustangst männlicher Potenz wird aufgefangen mit starken Greif- und Haltreflexen am weiblichen Körper und geht einher mit der Sehnsucht nach tiefer Verwurzelung und Pfählung des Fleisches.
Der paradiesische Zustand der Nivellierung von geschlechtsspezifischen Rollen führt das Heldische ad absurdum. Die wilde Verzückung, die körperliche Wollust nimmt zuweilen drastische, animalisch aggressive Züge an. Alles drängt von innen nach außen in einem formalen Aufbersten auf den Arbeiten, einem expressiven Verlangen nach Liebe und Gegenliebe am Abgrund, beseelt von dem krampfartigen Wunsch nach Rückkehr in die unvordenkliche Einheit, aber auch verwoben mit der Bestürzung, die mit diesem Begehren einhergeht, angesichts der bedrohlichen Dialektik von selbstvergessener Vereinigung und Selbstverlust.
Seit altersher gilt der androgyne Mensch als Sinnbild der Versöhnung und Vereinigung der sich polar gegensätzlichen Geschlechter. Im Bild des Androgynen gipfeln alle Vorstellungen der glückseligen Vereinigung des Menschen, das entspricht der Sehnsucht und Suche nach dem verlorenen Ganzen, d.h. die Verschmelzung des Urmännlichen: böse, erregend, leidenschaftlich, sonnengeflutet, mit dem Urweiblichen, das strahlend und lockend aus der Dämmerung leuchtet: gut, sinnlich wachsend, gelassen.
STEFFEN FISCHER beherrscht mit sinnlicher Fabulierlust die formale Groteske, wobei er genau weiß, wieweit er mit der Übertreibung zu gehen hat, um den Betrachter zwar zu provozieren, jedoch nicht zu verwirren. Mit philosophischer Dichte reflektiert er, assoziativ lesbar, Zeitphänomene, parodiert er menschliches Verhalten, verstrickt er sich in linearen Arabesken und prachtvoller Farbkultur und drückt in Gleichnissen aus, was Becher in seiner inneren Not, kurz vor seinem Tod in sein Tagebuch schrieb:
„Es ist nicht eigentlich das Vergessen, was es uns so schwer macht…Nicht die Gedächtnisschwäche oder der Gedächtnisschwund sind es…Das Verdrängen ist es, welches mir am gefährlichsten scheint…Das Verdrängen ist geradezu ein aktives, militantes Vergessen, denn es lebt nicht irgendwo harmlos in der Seele der Menschen weiter, sondern arbeitet sich aus dem „Schacht des Vergessens“ immer wieder herauf, nimmt die sonderbarsten Formen an und bricht mit einer elementaren Gewalt bald da, bald dort durch, unkontrolliert, hemmungslos, gebieterisch. Die Verdrängung wird zur Bedrängung, die uns nicht zur Besinnung kommen lässt und die Verdränger sind es, die durch ihr Krakeelen den Prozess einer soliden Selbstverständigung behindern.“
So wird ein Blatt Papier vom Künstler wie ein Schlachtfeld behandelt, ein Hinrichtungsplatz oder es verwandelt sich in ein lustvolles aber bitteres Tagebuch, berührt von den Geschehnissen der realen Welt und denen der Vergangenheit, die sich in mehr oder weniger deutbare, sich überlagernde Träume verwandeln, in Grotesken oder was auch immer. Paare waren von Anbeginn thematischer Ausgangspunkt von STEFFEN FISCHER, Bilder zu malen. Ihn interessiert die Verhältnisbeziehung von Mann und Frau und er sieht in der kleinsten Zelle menschlichen Agierens und Zusammenlebens auch den Keim und die Erkenntnis für gesellschaftliche Zusammenhänge.
Eine ganz besondere Fragestellung steht über all dem:
Gibt es etwas fundamental anderes als das geschlechtsspezifische, was die Paarungen auszeichnet? Ist ein herrschaftsfreies Verhältnis möglich, um ein schöpferisches Produktionspaar zu bilden, was sich gegenseitig ergänzt, nicht bekriegt und nicht unterwirft? STEFFEN FISCHER stand immer skeptisch der alttestamentarischen Formulierung gegenüber: „… und der Mann mache sich das Weib zum Untertan“.
Der Tanz ist für STEFFEN FISCHER die hohe Kunst des körperlichen Ausdrucks. Kein Wunder, dass er sich mit Leidenschaft zeichnend dem Flamenco zuwandte, Ornament und Bewegung, Stolz und Leidenschaft fließen zusammen. Eine körperliche Furiosität kommt zum Tragen. Neben klassischer Schönheit trägt dieser Tanz auch etwas archaisch Unverstelltes in sich. STEFFEN FISCHER ist ein Vertreter wahrhaftiger Emanzipation, jenseits herrschender und beherrschender Gesten!
Neben expressiv dynamischer Zeichensetzung gibt es auch eine berauschende Schönlinigkeit, die an das „Fin de siecle“ erinnert und die frühen zwanziger der 20. Jahrhunderts. Vielleicht ist er ein malerischer Prophet? Wer weiß!?
Karin Weber
Information
STEFFEN FISCHER
„Memento-Libido“
Malerei & Zeichnung
Eröffnung: 11.9.2025, 19:30 Uhr
Dauer: 12.9. – 22.11.2025
Im Kabinett
JURAJ CIZMAROVICH
„PhantasmaOrgien“
Zeichnungen